Pèlerinage à Pièd - Solla à Alèdjo

23.06.2013 21:31

Fußwallfahrt, na das kann ja was werden.

Seit vier Jahren veranstaltet die Pfarrei mittlerweile einmal jährlich eine Fußwallfahrt für die Angehörigen der Pfarrei in Solla und Umgebung. Da die meisten Erwachsenen in die Arbeit eingebunden sind, besteht die Teilnehmergruppe hauptsächlich aus den Jugendlichen, die sich von der Arbeit auf dem Feld befreien lassen können. In der Pfarrei hängen die Gruppenfotos der letzten Fußwallfahrten und dadurch, dass auch die jeweiligen Freiwilligen mitgemacht hatten, wusste ich, dass das auch von mir erwartet würde. Das zweite Problem war, dass die Wallfahrt von Jahr zu Jahr ihre Distanz verlängert. In diesem Jahr sollte es sich um eine Strecke von 80 km von Solla nach Alèdjo handeln.

Dennoch ging ich optimistisch und motiviert in die ganze Sache und letztlich sogar ein wenig ehrgeizig, sodass ich es teilweise schon fast als „Last“ gesehen habe, wenn ich das Auto mit dem Gepäck und dem Essen fahren musste.

Los ging die Reise Sonntagmittag den 9.6. in Solla mit einem Fußmarsch nach Pagouda (12km) einmal durch den Busch. Ich war auch zugleich für den Fahrdienst eingeteilt. Ich fuhr das Gepäck der Gruppe inkl. Des Abendessens nach Pagouda und traf mich dort mit den angekommenen Pilgerern. Das während des Marsches durchweg motiviert gesungen wurde, ist selbstverständlich. Auch bei der Ankunft in Pagouda war von Müdigkeit noch nichts zu sehen. Die Installation der Moskitonetze war für mich als Lariamgeschützter ein besonderes Vergnügen: „Wie hänge ich in einem riesigen Saal ohne jegliche Haken mein Moskitonetz auf?!“ Letztlich haben Stühle Abhilfe geschaffen, die zwischen den Netzen aufgestellt wurden und dafür gesorgt haben, dass das Netz ca. 30 cm über dem Boden hing - Nichts für dicke Leute. Am nächsten Morgen ging dann auch für mich die Pilgerfahrt los. Pagouda – Saoudé (ca. 22km) stand für heute auf dem Plan. Mit Wanderstock und lauter Stimme ausgerüstet ging es los Richtung Mittagessen in Farrendé. Dreieinhalb Stunden dauerte diese Etappe und ich war erstaunt von mir und meinen Füßen – alles topfit. Nach einer Pause zum beim Mittagessen ging es weiter hoch nach Saoudé in die Berge und diesmal so richtig durch den Busch. Schmale Trampelpfade und ein ziemlich steiler Anstieg und dennoch: Die Müdigkeit lies auf sich warten, zumindest wurde sie von der Motivation übertrumpft. Als dann irgendwann nach kilometerweitem Nichts die erste Rundhütte auftauchte, kam die Erleichterung. Die resistenten Mägen unser Mitstreiter wurden mit Brunnenwasser gefüllt. Da Jonathan und ich es bisher geschafft hatten, diese Art Wasser zu vermeiden ständen wir vor einem Interessenskonflikt, wenn da nicht Jonathans rettender Mikrobentöter gewesen wäre. Mit UV-Licht, dass wir in unsere Wasserflaschen hielten hofften wir unser Wasser reinigen zu können, um so dem Verdursten sowie den Bakterien aus dem Weg gehen zu können – Erfolgreich! Es sollte sich herausstellen, dass der Mikrobentöter uns nicht nur einmal aus so einer Situation rettete. Auf den letzten Metern vor unserem nächtlichen Zielort trafen uns weitere Mitstreiter aus der Gemeinde von Saoudé und wieder wurden wir zum Singen und tanzen animiert und liefen so mit enormer Motivation in unserm Zielort in den Bergen vor Kara ein.

In guter Laune ging es in die Abendplanung, diesmal war der Aufbau der Moskitonetze aufgrund von kleineren Zimmern kein Problem. Die Abendbesprechung war von Müdigkeit und zwei motivierten europäischen Pfarrern dominiert. Diese Mischung ist logischerweise eher suboptimal. Die folgende Nacht verbrachte ich erneut auf dem Boden, doch dieses Mal wurde die Nacht mehrfach durch die knarrende Tür des Badezimmers unterbrochen. Wie sich am nächsten Morgen dann herausstellte war mein deutscher Mitstreiter Jonathan von einer fiesen Malaria heimgesucht worden und  musste damit zunächst ins Krankenhaus gebracht werden. Damit fiel dieser auch erst einmal aus. Als letzter Europäer  (eine weitere war bereits vor Start der Wallfahrt krank geworden) in dieser fünfzig Mann starken Gruppe ging es dann los. Zunächst in die Kirche, wo der Bischof von Kara eine motivierende Messe für uns hielt und dann wieder ins Tal in Richtung Mittagessen nach Soumdina-Bas. Nach ca. Drei Stunden hochmotiviertem Marsch voller Gesang kamen wir dort an und bei mir machte sich zum ersten Mal die Erschöpfung breit. Der Plan sah vor, dass ich nach dem Mittagessen das Auto fahre und darüber war ich nun auch wirklich froh (natürlich nur innerlich, ich war ja eigentlich ehrgeizig). Doch es sollte nicht so sein. Der togolesische Père Francois erzählte mir von seiner Beinzerrung und bot mir an, die Autofahrt abzunehmen. Trotz der enormen Müdigkeit nahm ich sein Angebot an und lief mit der Gruppe zum Zielort für die kommende Nacht nach Melmèssede. Während der Diskussionsrunde auf etwa halber Strecke setzte sich ein älterer Herr mit wackeligem Gang in unsere Gruppe und fing mit interessanten Argumenten an mit uns zu Diskutieren. Der Klang seiner Sprache sowie der zuvor bemerkte wackelige Gang ließen schnell eine Nebendiskussion mit Wettoption auftreten in der es um die Zahl der Kalebassen Hirsebier ging, die dieser Mann wohl schon zu sich genommen hatte. Leicht aufgeheitert durch dieses Ereignis ging es nun weiter nach Melmèssede. Auf dem Weg versperrte uns ein Brückenbau den Weg und damit stellte sich die Frage wie man diesen Fluss überqueren solle. Eine glorreiche Matschaktion und einige mutige Schritte durchs Wasser waren meine Lösung, doch ein Großteil der Gruppe sparte sich mein Malheur mit der  Matschaktion. Weiter ging es in den Endspurt des Tages und bei mir war die Erschöpfung auf einem enorm hohen Niveau angekommen. In Melmèssede angekommen wurde schnell geduscht und der Abend in einem Stuhl verbracht, ohne noch viel hervorzubringen. Highlight des Abends: Der Dorfchef lud uns alle auf ein Bier ein. Ich war am Ende als ich bedachte, dass noch zwei Tage vor uns liegen und der morgige mit etwa 30 km Tagesstrecke der anstrengendste der gesamten Pilgerfahrt werden sollte. Ich wusste nicht, wie das Enden würde. Die Nacht habe ich wieder auf dem Boden geschlafen unter klarem Sternenhimmel. Am nächsten Morgen fühlte ich mich genauso grauenhaft erschöpft wie am Abend zuvor. Die ersten vier Kilometer des Tages war es dann mein Auftrag, das Auto zu fahren und diesmal blieb es auch dabei. Ich konnte mich so noch etwas länger ausruhen und fuhr dann den Pilgerern hinterher.

In Sirka angekommen kam eine plötzliche Wendung. Motivation und Ehrgeiz besiegten die Müdigkeit und ich fühlte mich von einer Minute auf die nächste wieder fit. Es war als wäre schlagartig eine Art Resistenz gegen die Erschöpfung aufgetreten. Los gings! Mittagessen war irgendwo im nirgendwo auf halber Strecke – dachten wir. Nach nur drei Stunden Marsch erreichten wir unseren ausgemachten Platz für die Mittagspause. Als nach kurzer Wartezeit dann das Auto mit dem Mittagessen ankam, saß auch mein Mitstreiter Jonathan wieder mit im Auto. Seine Malaria hatte er überstanden, doch die anhaltende Schwäche machte es unmöglich für ihn, weiter mitzulaufen. Bei mir war der plötzliche Aufschwung noch nicht zu Ende. Es konnte für mich problemlos weitergehen. Also liefen wir nach dem Mittagessen weiter in Richtung Gandé unserem Ziel für die folgende Nacht. Leider wurde die Distanz etwas unterschätzt, sodass die Ankunft am Zielort sich auf etwa 20 Uhr abends belaufen sollte. Doch wieder kam etwas dazwischen. Da einige Pilgerer mit körperlichen Problemen zu kämpfen hatten, kam uns das Auto entgegen, um die angeschlagenen Mitstreiter einzusammeln. Gleichzeitig wurde mir dann der Fahrauftrag gegeben, was bei mir auch nicht gerade Protest hervorrief. Bis zu diesem Moment belief sich die Tagesstrecke bereits auf ca 26 km und es sollten noch ca 5 weitere folgen und das obwohl die Nacht bereits hereinbrach.

Die Dunkelheit ist der Feind des Pilgerers, das bekamen wir in diesem einzigen Dunkeltheitsmarsch zu spüren. Im Eifer des Gefechts hatte niemand an die nötigen Sicherheitsvorkehrungen in der Dunkelheit gedacht. Ich war bereits mit den Kranken zu Hause mich ein dringender Anruf erreichte: Ein Motorradfahrer ist in unsere Pilgergruppe gefahren und es gibt wohl schlimmere Verletzungen. Ich solle zu Krankenstation fahren, um mit Sanitätern zum Unfallort zu kommen, jemand läge bewusstlos am Boden.

Eine Minute später erreichte mich eine Textnachricht, ich könne mir die Sanitäter sparen. Ich fuhr zum Unfallort und traf auf unsere Pilgerer. Es stellte sich heraus, dass auf unserer Gruppe ein Schutzengel lag. Der „Bewusstlose“ saß mittlerweile wieder aufrecht und hatte sich lediglich am Bein verletzt. Auch der Pfarrer trug eine Schürfwunden davon. Wir luden unseren „Bewusstlosen“ ins Auto und fuhren nach Bafilo ins Krankenhaus. Dem aus der Ethnie der Kotokoli stammenden Motorradfahrer war offensichtlich nichts passiert. Jedoch war sein Kind mit auf dem Motorrad und musste versorgt werden, wie dieser dem einzigen Pilgerer unserer Gruppe erklärte, der etwas Kotokoli verstand. Also nahmen wir auch diese beiden mit ins Krankenhaus. Dort angekommen bekamen wir die erleichternde Nachricht, dass es sich bei der Verletzung nicht um einen Bruch handelt, sondern „nur“ um schwere Prellungen. Vater und Sohn hielten ebenfalls eine Überraschung bereit. Ein Übersetzungsfehler war das Problem. Das Kind war nicht durch den Unfall verletzt worden, sondern es war schon vorher krank und der Vater wollte das Kind zu Hause pflegen, wo auch schon alle Medikamente vorhanden waren. Also ging es nun völlig erleichtert wieder zurück nach Gandé in unser Lager für die Nacht.

Eines hielt dass Schicksal für den heutigen Tage jedoch noch bereit. Als beim Anfahren das Auto mit einem Reifen auf dem ansteigenden Bordstein rollte, krachte es irgendwann und der Vorderreifen hing in der Luft. Was nun? Die drei Europäer dachten schon daran, einen Kran anzufordern, oder eine Seilwinde mit Flaschenzug zu Konstruieren. Doch der togolesische Erfindergeist kam uns zu Gute. Einer unser Pilgerer ging ins Wartezimmer des Krankenhauses und sagte lediglich: „Wir haben hier ein Problem.“ Sofort kamen alle nach draußen und mit gemeinsamen Kräften und einer provisorischen Treppe aus Gipssteinen wurde die Situation ohne jegliche Schäden zu verursachen bereinigt.

Feierabend! Zu Hause angekommen warteten die Pilgerer schon auf uns und als die Information bekannt gegeben wurde, dass wir enormes Glück gehabt hatten und nichts ernsteres passiert sei, sah man die Erleichterung in den Gesichtern der Pilgerer und fröhliche Stimmung lies nicht lange auf sich warten.

Am nächsten Morgen wurde etwas Ausschlafzeit gegeben; Um sechs Uhr 30 war planmäßiges Aufstehen angesagt. Um acht Uhr 30 war dann das Auto gepackt und die Pilgerer liefen los zur Messe unter den Mangobäumen etwa drei Kilometer vom Logement entfernt . Mein Auftrag war zum letzten Mal das Fahren. Nach der Messe ging es dann auch führ mich in den letzten Tag. Leider hatte ich während der Messe allerdings meinen Wasservorrat bereits leer getrunken. Man sagte, die Strecke bis zum Mittagessen sei recht kurz und da dachte ich, ich käme ohne viel zu trinken durch. Fehlanzeige! Wie sich herausstellte, wurde die Strecke wieder einmal total unterschätzt und es gab einige kleinere Verletzungen, die zu Unterbrechungen und letztlich sogar zum Teilen der Gruppe geführt haben. Der Wassermangel hat mir persönlich enorm zugesetzt und letztlich glaube ich, dass wir nicht allzu weit davon entfernt waren, dass Schlimmeres in dieser Hinsicht passierte.

Zum Glück haben wir alle den anstrengenden Marsch gut überstanden und zum Mittagessen konnten alle ihren Wasserhaushalt wieder aufbauen und sich für die letzte Etappe ausreichend zu wappnen.

Das letzte Stück ging zunächst einige Kilometer an der Rue Nationale entlang und jeder hatte die Aufgabe bis zum verlassen der Rue Nationale in eigener Meditation zu verbringen und über die Wallfahrt nachzudenken. Wider meiner Erwartungen nach der sonst so unermüdlichen Gesangsmotivation, verlief dieser Teil tatsächlich erstaunlich ruhig und in einer Atmosphäre der Meditation. Als wir dann auf die Straße nach Aledjo, unserem Zielort, abbogen verfielen wir wieder in Gesang und Gespräche. Der eindrucksvolle Blick in Tal und Wälder wurde für einige Minuten genossen und anschließend kam der Zieleinlauf. Lauter Gesang und volle Motivation führten uns durch Aledjo ins ehemalige Grand Seminaire, wo wir die letzten beiden Nächte unterkamen.

Geschafft!

Die unglaubliche Strecke von 80km mit nur minimalen Ausfällen wurde erfolgreich gemeistert und ganz nebenbei hat man seine Mitstreiter noch einmal sehr viel besser kennengelernt. Während der gesamten Pilgerfahrt machten Jonathan und ich uns immer wieder einen Spaß daraus, die sogenannten „Frauenaufgaben“ abwaschen, essen verteilen usw. zu übernehmen. Unsere Freunde haben gelacht, aber zum Teil auch wirklich verstanden, dass der Weiße auch für sich arbeiten kann und keine Leute benötigt, die alles für ihn erledigen. Ich glaube und hoffe, wir haben hiermit ordentlich Eindruck hinterlassen.

Das ehemalige Priesterseminar in Aledjo steht heute leer bzw. wird für gelegentlich auftretende Gruppen wie uns bereitgestellt. Das führt dazu, dass die Räume ziemlich Dreckbefangen sind und nicht das Allersauberste sind. Für zwei Nächte sollte es jedoch gehen. Die Fledermaus im Zimmer von Jonathan und mir störte uns auch nur mäßig.

Der Abend wurde mit interessanten Diskussionen über Religion und Weltanschauung gefüllt,  durch die Erschöpfung jedoch schnell beendet. Am nächsten Tag wachten wir in der Wolkendecke von Aledjo auf und es regnete. Nach dem Regen ging es hoch auf einen Felsvorsprung von dem aus man den Ort bzw. das Tal unterhalb von Aledjo betrachten konnte. Nachmittags ging es zum Schwesternhaus, dass 1963 von französischen Schwestern gegründet wurde. Ein enorm luxoriöses Gebäude mit einem riesigen Garten, in dem es alle Pflanzen und Bäume gibt, die in Togo wachsen können. Ein Paradies für uns Mangofans, die zunächst einmal einige köstliche Minuten dort verbracht haben. Nach der Abschlussbesprechung gab es das Abendessen im Speisesaal des Schwesternhauses und im Anschluss daran gab es vor dem Schlafengehen noch eine Filmvorstellung über die Gründung des beeindruckenden Hauses in den Bergen von Aledjo. Der letzte Morgen stand an und es wurde Zeit die Sachen zu packen und das Auto zu beladen. Nach dem Frühstück ging es zeitig los über einen langen Karaaufenthalt zurück nach Hause.

 

Abschließend muss ich sagen, dass diese unglaublich kräftezehrende Woche ein sehr schönes Erlebnis war, auf dass ich mit Freude zurückblicke. Ich habe sehr viele Erfahrungen gesammelt und letztlich auch gemerkt, dass bei vielen togolesischen Mitstreitern irgendwann die Müdigkeit einsetzt und die Aufmerksamkeit aussetzt, was im alltäglichen Leben eigentlich gar nicht bzw. nur vereinzelt mal auftritt. Dieser Umstand war mir äußerst sympathisch und hat mir die togolesische Mentalität noch näher gebracht.

Ich bin froh, von Anfang bis Ende dabei gewesen zu sein.